Seit dem Erdgipfel von Rio 1992 ist fast eine Generation vergangen, die Welt seitdem eine ganz andere geworden. 1,5 Milliarden mehr Menschen als damals nennen heute die Erde ihr Zuhause. Die meisten von uns leben heute nicht mehr auf dem Land, sondern in Städten. Eine rapide sich globalisierende Wirtschaft, große Wellen der Aus- und Einwanderung und die Revolution in der Informationstechnologie bedeuten, dass wir alle heute mehr denn je miteinander verbunden sind.
Was genau bedeutet das für eine nachhaltige Entwicklung? Rio+20 bietet uns eine Chance, nach Antworten zu suchen – und zu überlegen, wie wir diese raschen Veränderungen dafür nutzen können, eine nachhaltigere Welt zu schaffen und das Leben von so vielen Menschen wie nur möglich zu verbessern.
Der diesjährige Bericht Zur Lage der Welt ist hier ein erster Anfang, und die Ford Foundation ist stolz, ihren Beitrag leisten zu können. Die vorliegende Sammlung von neuen Ideen und Maßnahmen führt uns einmal mehr vor Augen, dass ein nachhaltiger Planet nicht nur durch irgendwelche internationalen Konferenzen entstehen kann, sondern durch Innovation, Kraft und Engagement in unseren zahllosen, sich ständig wandelnden Gemeinwesen.
Die folgenden Seiten lassen keinen Zweifel aufkommen: Wenn wir eine wahrhaft nachhaltige Wirtschaft schaffen wollen, eine Wirtschaft, die menschliche Entwicklung voranbringt, ohne dabei die Umwelt von morgen zu opfern, dann müssen wir uns großen Herausforderungen stellen. Wir haben gewaltige Fortschritte gemacht – nicht zuletzt die stärkere Anerkennung des Werts unserer Ökosysteme, die rapiden Wachstumsraten bei der Erzeugung von erneuerbaren Energien, die Entwicklung marktförmiger Werkzeuge für das Umweltmanagement und die Zunahme von nachhaltigem Wirtschaften in Schlüsselbereichen wie Industrie und Verkehr. Dennoch schreitet die Zerstörung unserer Umwelt weiter voran, und keine dieser Maßnahmen hat bislang den Schaden gemindert, den wir unserer Zukunft und der Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder zufügen.
Viele wichtige Fragen sind noch zu beantworten, dazu, wie ein Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft aussehen wird und ob uns dies im Kampf gegen eine andere Plage – die bittere Armut, unter der weltweit immer noch viele Menschen leiden – voranbringt. Werden grüne Technologien in armen Ländern hochwertige Arbeitsplätze schaffen und den Lebensstandard verbessern? Oder werden vor allem die wohlhabenden Länder den wirtschaftlichen Nutzen solcher Technologien abschöpfen und so die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vertiefen? Wird die Tatsache, dass erkannt wurde, welchen wirtschaftlichen Wert Wälder haben, dazu führen, dass Land- und indigene Bevölkerungen besseren Zugang zu natürlichen Ressourcen bekommen und ihren Lebensunterhalt auf nachhaltige Weise sichern können? Oder wird dies für die Menschen vor Ort zu neuen Einschränkungen bei der Landnutzung führen? Werden wir die große Vielfalt überkommener Kulturen wahren und nutzen? Oder wird dieses unschätzbare Erbe von der Globalisierung hinweggefegt werden?
Auf diese vielschichtigen Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Die in diesem Band versammelten Ideen und Ansätze können uns jedoch dabei helfen, den Weg in die Zukunft zu finden. Zugleich sind sie Ausdruck grundlegender Einsichten, die, wie unsere Partner in aller Welt wieder und wieder bewiesen haben, wahr sind – und von denen wir glauben, dass sie für die Programme für Nachhaltigkeit auf der Rio+20-Konferenz und darüber hinaus von entscheidender Bedeutung sind.
Zum einen ist die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft unabdingbar für eine erfolgreiche Umsetzung von Nachhaltigkeit. Das Ziel von Rio+20, Armut durch grünes Wirtschaften abzuschaffen, verlangt, dass zivilgesellschaftliche Gruppen voll eingebunden werden. Die Ford Foundation unterstützt deshalb eine Vielzahl unterschiedlicher Organisationen dabei, im Vorfeld der Konferenz mit ihren Hoffnungen und Bedenken zu Wort zu kommen. Des Weiteren fördern wir internationale Netzwerke, zivilgesellschaftliche Institutionen und Wissenschaftler, die in Schlüsselbereichen wie Wohnungsbau, Verkehr und Forstverwaltung arbeiten. Diesen Interessengruppen ist klar, dass grundlegende wirtschaftliche Umbrüche den arbeitenden Armen und anderen marginalisierten Menschen gleichermaßen Chancen bieten und sie vor Herausforderungen stellen. Wir brauchen ihre Stimmen. Ihre aktive Teilnahme am Rio-Prozess wird den Abkommen mehr Glaubwürdigkeit verleihen und sie wird dazu beitragen, dass Errungenschaften gerecht verteilt und mit Nebenwirkungen sorgfältig umgegangen wird.
Zum anderen hat sich immer wieder gezeigt, dass die Fähigkeit ländlicher Bevölkerungen, natürliche Ressourcen zu bewahren, von unschätzbarem Wert in unserem Kampf gegen den Klimawandel ist. Die Wälder der Welt sind nicht nur Heimat für viele hundert Millionen Menschen, sie sind für viele Gemeinschaften Grundlage ihres Lebens und ihrer Existenz. Für diese Menschen (von denen viele indigenen Völkern angehören) sind die Wälder Quelle von Nahrung, Energie, Medizin, Baumaterial und Einkommen. Einer der wohl größten Anreize, diese Ressourcen zu schützen und zu bewahren, ist es, diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, die Wälder, in denen sie leben, zu besitzen und zu verwalten. Die Ausweitung der Rechte indigener Gemeinschaften auf Wälder – und auf andere natürliche Ressourcen – ist ein wirksames und erfolgreiches Modell, dem viele Länder folgen können und müssen.
Schließlich liegt auch auf der Hand, dass die Entwicklung und das weltweit enorme Wachstum der Städte in den Debatten über nachhaltige Zukunft eine entscheidende Rolle spielen müssen. Die Lage unserer Städte betrifft inzwischen das Leben von über der Hälfte aller Menschen auf der Erde unmittelbar. Praktisch das gesamte für die nächsten vier Jahrzehnte vorhergesagte Wachstum der Weltbevölkerung – insgesamt rund 2,3 Milliarden Menschen – wird sich in städtischen Regionen abspielen. Während manche die rapide Verstädterung mit großer Sorge sehen, scheinen sich uns hier bedeutende Chancen zu eröffnen. Das Wachstum der Städte kann eine einmalige Möglichkeit sein, wirtschaftliche Entwicklungswege zu öffnen, Zugang zu Jobs und Dienstleistungen zu schaffen und die Einkommen zu erzeugen, die es den Menschen erlauben, Ersparnisse anzulegen, gesellschaftliche Integration zu fördern und die Umwelt zu schützen. Damit das Wirklichkeit wird, sind grundlegend andere Denkweisen erforderlich. Städte und urbane Entwicklung müssen ganz neu gedacht werden – inklusive Verdichtung, Vielfalt und intelligenter Flächennutzung. Die Art, wie wir alle mit dem Thema Verstädterung umgehen, wird mit über das Schicksal von Milliarden von Menschen und über die Nachhaltigkeit der Erde entscheiden.
Die nächsten Generationen – unsere Kinder und Enkelkinder – sind darauf angewiesen, dass wir heute weise und entschlossen handeln. Sie erwarten, dass wir nicht nur an unsere eigene Lebenszeit denken, sondern auch an ihre, nicht nur an uns selbst, sondern auch an sie. Wenn wir zum 20. Jahrestag des Erdgipfels von Rio de Janeiro eine neue Vision einer nachhaltigen Zukunft schaffen, haben wir die Chance, unserer großen Verantwortung, die natürlichen und vom Menschen geschaffenen Umwelten zu hüten und zu bewahren, gerecht zu werden. Machen wir das Beste daraus.
Luis A. Ubiñas, Vorsitzender der Ford Foundation
Zur Lage der Welt 2012
Nachhaltig zu einem Wohlstand für alle: Rio 2012 und die Architektur einer weltweiten grünen Politik